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Nachhaltige Beschaffung

5. Mai 2021

Herzlich willkommen zu einem weiteren Blog-Beitrag. Heute geht es um das Thema nachhaltige Beschaffung, welches sehr wichtig und natürlich auch für die öffentliche Hand von Bedeutung ist.

Timm Jelitschek

Ich möchte klären, ob nachhaltige Beschaffung eigentlich nur etwas mit Umwelt und Klima zu tun hat oder ob auch soziale und ethische Aspekte weitere Teile der Nachhaltigkeit sind bzw. sein sollten. Außerdem möchte ich besprechen, wie öffentliche Ausschreibungen nachhaltig gestaltet werden können. Um all dies zu beleuchten, habe ich mir wieder Unterstützung geholt.


Mein heutiger Gesprächspartner heißt Timm Jelitschek. Er beschäftigt sich bereits seit vielen Jahren mit nachhaltiger Beschaffung und ist ein Experte auf seinem Gebiet. Als Nachhaltigkeitsmanager und angehender Gemeinwohlökonomie-Berater arbeitet Timm Jelitschek u.a. als Berater für Nachhaltigkeitstransformation.

Hallo Herr Jelitschek. Ich freue mich, dass Sie sich die Zeit nehmen um mit mir über das Thema nachhaltige Beschaffung zu sprechen, welches ja immer mehr an Bedeutung gewinnt. Warum liegt Ihnen eine nachhaltige Beschaffung ganz persönlich am Herzen?


Schönen Dank für die Einladung. Sie sprechen direkt einen erfreulichen Punkt an, die Bedeutung der Nachhaltigkeit steigt in der öffentlichen Wahrnehmung und kommt auch immer mehr im Bereich der Beschaffung an. Warum mir das Thema so wichtig ist, ist gar nicht so einfach zu erklären. Ich versuche es aber gerne. Ich habe einen interdisziplinären Bildungshintergrund. In meinen Studienjahren haben mich früh geisteswissenschaftliche und ökonomische Fragen und Phänomene gleichermaßen interessiert. Schnell landete ich beim Thema Wirtschaftsethik, später dann bei der Nachhaltigkeit und schlussendlich beim Gemeinwohl.

 

Vielleicht eine kleine Rückschau: In der Geschichte gab es immer menschengemachte „strukturgebende Entitäten“, die unsere Welt maßgeblich formten: Religion, Adel, Staat und seit der industriellen Revolution immer stärker auch die Ökonomie. Denken Sie nur mal an Karl Marx und Friedrich Engels oder heute an Elon Musk und Jeff Bezos. Was wir erkennen können ist, dass heute die Ökonomie mehr als alle anderen unsere Lebenswelt gestaltet. Die Folgen des Klimawandels oder der Urwaldrodungen seien dabei nur zwei Beispiele. Und wie sagte es schon Peter Parkers Onkel Ben im Film Spiderman: „Aus großer Kraft folgt große Verantwortung.“ Die große Kraft ist hier mit Macht gleichzusetzen und Spidey kann durch unser Wirtschaftssystem ersetzt werden.

 

Mich interessiert einfach, wo unser Hebel als Gesellschaft, wo mein Hebel als Person am größten ist, um für eine lebenswerte Zukunft zu sorgen. Um nun das Thema Einkauf in dieses Bild zu bringen, möchte ich noch einen definitorischen Schritt machen und die beiden Begriffe „Nachhaltigkeit“ und „Beschaffung“ einmal genauer anschauen.

 

Historisch fußt unsere Ökonomie auf der Tauschwirtschaft. Auch heute geht es im Kern immer noch um Tauschgeschäfte, also um Transaktionen. Ware gegen Geld. Geld gegen Dienstleistung. Kein Unternehmen funktioniert ohne den Tausch. Auf diese Transaktionen kommt das obendrauf, was wir Wertschöpfung nennen. Unternehmen reichern etwa Rohstoffe oder Materialien durch ihre Tätigkeit und mit Hilfe von Werkzeugen und Betriebsstoffen an und schaffen so einen Mehrwert – zumindest in der Theorie. Bei Dienstleistungen ist dies ähnlich, dort sind die die Ressourcen, die „beschafft“ werden müssen, jedoch oft immaterieller Natur, wie z.B. Informationen (Daten, Wissen etc.) oder eben andere Dienstleistungen.

 

Betrachten wir nun den Einkauf, dann sehen wir, dass dieser allein schon aus diesem Grundgedanken heraus – vereinfacht gesagt – die Hälfte aller Transaktionen verantwortet. Der Beschaffung kommt daher eine hohe Bedeutung in fast jedem Unternehmen zu. Mit dieser Bedeutung geht dann natürlich auch eine hohe Verantwortung einher. Was uns zum eigentlichen Begriff bringt, den wir betrachten wollen, der Nachhaltigkeit.

 

Bei der Nachhaltigkeit geht es eigentlich immer um Ressourcennutzung. Hinter dem Begriff steht das Prinzip, die dauerhafte Bedürfnisbefriedigung des Menschen, an die Gewährleistung der (natürlichen) Regenerationsfähigkeit aller beteiligten Systeme zu knüpfen. Diese Systeme sind in erster Linie Lebewesen und Ökosysteme. Um es auf eine Formel zu bringen: Wirtschaft ist gleich Transaktionen plus Wertschöpfung. Schauen wir uns nun die Transaktionen in der Formel genauer an, dann erkennen wir schnell das Prinzip der „Lieferkette“. Und letztendlich beginnt jede Lieferkette wiederum irgendwo bei den besagten Lebewesen und Ökosystemen. Denn diese „erzeugen“ die natürlichen Rohstoffe, auf denen wir aufbauen: Arbeitskraft, Wasser, Sauerstoff, Sand, Erze, Holz, Lebensmittel etc. Wir sind daher auf diese Systeme angewiesen, um unser Transaktions-, Wertschöpfungs- und Wirtschaftssystem am Laufen zu halten. Ganz allein deswegen sollte nachhaltiges Handeln unser erstes Gebot sein und da kann der Einkauf insgesamt einen großen Beitrag zu leisten und hat dementsprechend auch eine große Verantwortung.

Was bedeutet nachhaltige Beschaffung konkret? Geht es dabei „nur“ um Umweltschutz?

 

Das wird zumindest oft angenommen. Aber natürlich bedeutet nachhaltige Beschaffung viel mehr als nur der Schutz unserer Umwelt. Wenn auch das Thema Ökologie oft als Ursprung und Kernthema nachhaltigen Denkens und Wirtschaftens angesehen wird. Wie ich ja bereits zuvor angemerkt habe, geht es immer um den Schutz von Lebewesen und Ökosystemen. Das bezieht uns Menschen insbesondere mit ein. Und da wir Menschen soziale und kulturschaffende Wesen sind, zählen für mich soziale und kulturelle Aspekte auch beim Einkauf eindeutig mit dazu.

 

Nehmen wir nur mal das Thema Menschenrechte. Eine nachhaltig ausgerichtete Beschaffung muss dafür Sorge tragen, dass in der vorangegangen Lieferkette menschenwürdige Arbeits- und Lebensbedingungen geherrscht haben. Viele von uns sehen dabei sicher direkt Bilder von Kinderarbeit oder Arbeitende ohne Schutzkleidung in fernen Landen vor dem inneren Auge. Andere denken vielleicht an Schicht- oder Fließbandarbeit im Akkord. Wieder andere an die Gleichberechtigung am Arbeitsplatz hier bei uns in Deutschland. All diese Gedanken sind berechtigt und sollten bei einer nachhaltigen Beschaffung berücksichtigt werden.

 

Neben den ökologischen und sozialen Fragestellungen sehe ich ganz persönlich aber auch eine kulturelle Verantwortung beim Einkauf. Stellen Sie sich mal vor Sie müssten Baumaterial beschaffen. Massives Gestein zum Beispiel. Wäre es zu verantworten, wenn Sie sehr günstige Ware bekommen könnten, von der Sie aber wissen, dass diese (sogar legal) von den Pyramiden von Gizeh abgetragen wurde? Wie stehen wir als Gesellschaft zum geschichtlichen oder kulturellen Wert von alledem was wir als Menschheit geschaffen haben? Oder weniger abwegig gefragt: Haben wir in Zeiten einer globalen Pandemie und anhaltendem Lockdown als Einkäuferinnen und Einkäufer die Verantwortung besonders Familienunternehmen zu unterstützen anstelle von Großkonzernen zu kaufen, damit dieses Konstrukt überlebt? Sollen wir eher den regionalen Zunft-Handwerker beauftragen einen Besprechungstisch nach alter Tradition für uns zu fertigen oder lieber ein industriell gefertigtes Importprodukt kaufen? Diese Fragen können wir natürlich nach ökologischen und sozialen Gesichtspunkten beantworten, aber auch kulturelle spielen dort eine Rolle – z.B. die Erhaltung von Traditionen und Vielfalt.

 

Einen Begriff, den ich immer wieder lese und ganz treffend finde fasst diese Fragestellungen gut zusammen – unsere Zukunft soll „enkeltauglich“ sein. Wir sollten also immer dafür sorgen, dass wir bei unseren Entscheidungen darüber nachdenken, ob das, was wir tun auch im Sinne späterer Generationen ist. In den 60er und 70er Jahren wurden Fachwerkhäuser en masse abgerissen, um Betonbauten Platz zu machen. Heute reisen Millionen internationale Touristen nach Rothenburg ob der Tauber, um eine der intaktesten Altstädte der Welt zu besichtigen. Auf der anderen Seite werden uns spätere Generationen sicherlich nicht dafür danken, dass wir unseren Atommüll in alten Salzwerken einlagern, weil wir nicht wissen, wo wir sonst damit hinsollen. Was zu bewahren, was zu verändern und was zu verhindern ist sollte daher wohl überlegt sein.

 

Einkäuferinnen und Einkäufer haben diesbezüglich Möglichkeiten eine nachhaltige Richtung vorzugeben. Wer in der Beschaffung darauf achtet das Gleichgewicht zwischen Ökologie, Sozialem, Kultur und der Wirtschaftlichkeit zu wahren, ist auf dem richtigen Weg. Da mit dem Einkauf wie beschrieben die Wertschöpfung eines Unternehmens anfängt (inkl. der Lieferkette davor) kann alles Weitere, was darauf aufbaut nur so nachhaltig sein, wie dieses Fundament.

Ein Thema in den Medien ist ja immer wieder die sozial und ökologisch schwierige Beschaffungsstrategie, speziell in der Bekleidungsindustrie. Handelt es sich dabei nur um ein Negativbeispiel und wie sind Ihrer Meinung nach die Unternehmen insgesamt in Bezug auf eine nachhaltige Beschaffung aufgestellt?

 

Sie sprechen mit der Textilbranche ein Thema an, das zweischneidig ist. Auf der einen Seite hören wir seit Jahren regelmäßig von den negativen Folgen der sogenannten „Fast Fashion“, der schnelllebigen Mode. Dieser Trend fußt auf einem stetigen Preisverfall bei der Bekleidung. Diese niedrigen Preise sind aber nur möglich, weil viele Menschen außerhalb unsrer Sichtweite ausgebeutet werden, Produktionsmethoden eingesetzt werden, die zwar kostengünstig sind, aber hohe Umweltschäden verursachen und weil die Verarbeitungs- und Materialqualität meist minderwertig ist. Auf der anderen Seite gibt es fast keine andere Produktkategorie, wo so viele neue nachhaltige Produzenten, Lieferanten und Marken hinzugekommen sind, wie in der Textilindustrie. Ich würde behaupten, dass nur noch Kaffee und Schokolade vergleichbare Produkte sind, wo bspw. das Fair-Trade-Siegel viele Konsumenten und Unternehmen zu einem massiven Umdenken bewegt hat.


In all diesen Fällen waren die Zustände lange Zeit katastrophal was die soziale und ökologische Ausbeutung anging. Aber langjährige Arbeit von Menschenrechts- und von Umweltorganisationen und die mediale Berichterstattung haben in diesen Fällen zu einem sukzessiven Umdenken geführt. Wir sind zwar noch weit von einem akzeptablen Status Quo in den angesprochenen Branchen entfernt, aber immer mehr Menschen verstehen nun, warum gute Produkte, die auch zu einem guten Gewissen beitragen ihren Preis haben.


Die Beispiele zeigen für mich auch eines ganz klar: Sobald ein Kunde – sei es ein Endverbraucher oder ein Unternehmen – von den genauen Hintergründen der Güterproduktion oder der Leistungserstellung weiß, dann wächst auch das Bewusstsein für ihren Wert. Es entsteht Wertschätzung. Tatsächlich leben und wirtschaften wir heute sehr oft vollkommen entkoppelt vom größten Teil der Wertschöpfungskette. Viele Einkäuferinnen und Einkäufer kennen heute oft nur noch den Händler, bei dem sie direkt einkaufen oder allein die (Handels-)Marke, die auf der Verpackung oder Ware prangt. Sie wissen aber nicht, wie viele Zwischenhändler oder wie viele Transporte nötig sind und wo die Rohstoffe oder Halbzeuge herkommen. Eine naheliegende Hypothese: Sehr oft aus Niedriglohn-Ländern mit wenig demokratischen Regierungen, schlechten Arbeitsbedingungen und hoher Armut.


Aus diesen Gründen wird ja auch seit langem über das Lieferkettengesetz diskutiert. Ein Vorhaben, das stark von Menschenrechts- und Umweltorganisationen getrieben wird und zuletzt im Februar endlich Formen in der Politik angenommen hat – wenn auch in einer eher handzahmen Fassung. Dabei geht es um die Zurückverfolgbarkeit der Güter und Erzeugnisse in der Lieferkette sowie um die Haftung bei Umweltschäden oder Menschenrechtsverletzungen entlang dieser Kette. Viel Verantwortung für Unternehmen, aber unerlässlich, wenn wir nicht weiter die Augen vor den Problemen und dem Leid verschließen wollen, was unsere Wirtschaft an anderen Orten dieser Welt verursachen. Vielleicht ein Tipp dazu: Die Gründer von www.sustainabill.de wollen Unternehmen aktiv dabei unterstützen ihre Lieferkette transparent zu gestalten.


Je eher sich also heute schon ein Unternehmen oder die öffentliche Hand im Sinne einer nachhaltigen Beschaffung aufstellt, desto geringer werden auch die Auswirkungen dieses und ähnlicher Gesetze sein. Und, dass sich auf internationaler Ebene in Zukunft noch einiges mehr ändern wird und auch werden muss, liegt wie zuvor gezeigt auf der Hand.

Nachhaltigekeit in der öffentlichen Beschaffung

Einkauf ist ja nicht nur für private Unternehmen, sondern auch für den öffentlichen Bereich wichtig. Sehen Sie die öffentliche Hand unter dem Gesichtspunkt einer nachhaltigen Beschaffung in einer speziellen Verantwortung und wie sind öffentliche Auftraggeber Ihrer Meinung nach diesbezüglich aufgestellt?

 

Ich sehe ganz klar eine besondere Verantwortung Seitens der öffentlichen Beschaffung. Bund, Länder und Kommunen haben meiner Meinung nach eine Vorbildfunktion zu erfüllen und sollten zeigen, wie nachhaltiger Einkauf funktionieren kann. Und damit bin ich nicht allein: Im Nationalen Aktionsplan zur Umsetzung der UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte (2016) betont die deutsche Bundesregierung ihre staatliche Schutzpflicht und, dass mit öffentlichen Mitteln keine Menschenrechtsverletzungen einhergehen dürfen. Parallel untersucht das Umweltbundesamt (UBA) seit 2008 (zuletzt 2017) in Rechtsgutachten die Umsetzung der EU-Vergaberichtlinien aus dem Jahr 2004 im deutschen Recht. Dabei lag 2016/2017 der Fokus zuletzt auf den Vorschriften zur umweltfreundlichen Beschaffung in Reaktion auf das Vergaberechtsmodernisierungsgesetz, der Vergaberechtsmodernisierungsverordnung und der Unterschwellenvergabeordnung.


Die politischen und rechtlichen Rahmenbedingungen zeigen sehr deutlich, welche Erwartungshaltung Legislative und Judikative an die öffentliche Hand haben. Neben diesen Vorgaben gibt es aber auch ein öffentliches Interesse daran, dass die öffentliche Beschaffung nachhaltiger wird. Ein Beispiel dafür wären die Entwicklungen in der Stadt Münster. Seit Jahren gibt es in der westfälischen Großstadt eine rege Umwelt- und Nachhaltigkeitsbewegung. Besonders das Netzwerk „Münster Nachhaltig“ und die Regionalgruppe Münsterland das „Gemeinwohl-Ökonomie e.V. (GWÖ)“ haben in den letzten Jahren Überzeugungsarbeit auf lokalpolitischer Ebene geleistet.


Das Ergebnis: Seit Februar 2021 gibt es eine politische Koalition im Stadtrat, um die kreisfreie Stadt am Gemeinwohl auszurichten. Tobias Daur von der GWÖ Münsterland formuliert den Vorstoß wie folgt: „Die Koalition nutzt zentrale kommunalpolitische Werkzeuge wie die öffentliche Beschaffung, Förderprogramme, die Flächenvergabe und die Gemeinwohl-Bilanzierung aller städtischen Unternehmen, um einen wirkungsvollen Beitrag für ein gutes Leben für alle zu leisten.“ Damit macht er für mich einen essentiellen Punkt: Die öffentliche Beschaffung muss nachhaltiger werden, damit die Lebensqualität aller steigt.

Sie sprachen konkret das Umweltbundesamt (UBA) an. Tatsächlich gibt es aus dem UBA bereits viele Initiativen. Aber sind diese aus Ihrer Sicht wirklich notwendig, denn schließlich bietet das Vergaberecht selbst bereits Regelungen zur nachhaltigen Beschaffung? Beispielsweise bei den Vergabegrundsätzen (§ 97 Abs. 3 GWB) oder auch ganz konkret zur Berechnung von Produktlebenszykluskosten (§ 59 VgV) und zur Beschaffung von energierelevanter Leistungen (§ 67 VgV).

 

Da haben Sie vollkommen recht. Es gibt bereits einige isolierte rechtliche Vorstöße Seitens des Bundes der Beschaffung und dem Vergaberecht Nachhaltigkeit „einzuimpfen“. Wie ich aber bereits versucht habe anzudeuten, sind es in den letzten Jahren vor allem internationale Bestrebungen, einen nachhaltigen Wandel anzustoßen. Und diese sind um einiges ambitionierter als unsere bestehenden Bestimmungen. Neben den genannten UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte sind im selben Jahr (2016) noch die 17 Ziele für nachhaltige Entwicklung (engl. Sustainable Development Goals; kurz SDGs) hinzugekommen. Salopp gesagt machen diese auf politischer Ebene in den letzten Jahren ganz schön Wind. Ich vermute, dass da auch die Bemühungen des UBA und anderer Initiativen herrühren.

Aber genug von der Notwendigkeit, hin zu den Möglichkeiten. Die öffentliche Hand sollte die Möglichkeiten und Chancen nutzen, die sie jetzt schon bekommen. Denn Kommunen und öffentliche Unternehmen bekommen bereits große Unterstützung, um die Ziele und Wünsche von Politik und Öffentlichkeit verfolgen zu können. Das jetzt schon viel besprochene Umweltbundesamt hat bspw. Leitfäden zur umweltfreundlichen Beschaffung bereitgestellt, zu finden unter www.beschaffung-info.de. Auch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) erkennt die Brisanz des Themas und hat unter www.kompass-nachhaltigkeit.de zahlreiche Informationen zur öffentlichen Beschaffung bereitstellen lassen. Auch auf Landesebene passiert einiges. Baden-Württemberg hat eine Arbeitshilfe für den umweltfreundlichen und sozialverträglichen Einkauf in Kommunen mit dem Titel „Nachhaltige Beschaffung konkret” veröffentlicht, um Kommunen aktiv zu unterstützen.


Ich möchte an dieser Stelle gar nicht anfangen mich in Details zu verlieren, das leisten diese Leitfäden in ausgiebigem Maße. Ein paar Hinweise will ich dennoch geben, wie sich Einkäuferinnen und Einkäufer eine erste Orientierung verschaffen können. Mittlerweile gibt es einige Standards zur nachhaltigen Berichterstattung. Seit 2017 sind laut CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz bestimmte deutsche Großunternehmen mittlerweile dazu verpflichtet, Angaben über Arbeitnehmer-, Sozial- und Umweltbelange zu machen sowie die Achtung der Menschenrechte und Bemühungen zur Korruptionsbekämpfung in einer nichtfinanziellen Erklärung (NFE) offenzulegen. Grundsätzlich können Unternehmen aller Couleur in diesen Berichten und alternativen Bilanzen transparent machen, wie nachhaltig sie wirtschaften und somit zeigen, wie attraktiv sie auch für den Einkauf sind.


Standards gibt es z.B. nach dem Deutschen Nachhaltigkeitskodex (DNK), der Global Reporting Initiative (GRI), dem Eco Management and Audit Scheme (EMAS) oder der Gemeinwohl-Ökonomie (GWÖ). Auf den Webseiten der verantwortlichen Organisationen finden sich in der Regel alle berichtenden Unternehmen – eine gute Vorauswahl für die Beschaffung. Eine weitere Anlaufstelle wäre auch die Seite www.ranking-nachhaltigkeitsberichte.de, wo viele Berichte und Bilanzen einer Meta-Bewertung unterzogen werden.

Diese Berichte sind ein guter Hinweis. Auch Gütezeichen sind ein wichtiger Hebel in Bezug auf eine nachhaltige Beschaffung, in der Praxis jedoch nicht ganz einfach umzusetzen. Das Vergaberecht macht diesbezüglich genaue Vorgaben hinsichtlich Objektivität und Nachprüfbarkeit (§ 34 VgV). Deshalb scheuen sich viele Vergabestellen Gütezeichen zu fordern. Welche Gütezeichen können Sie empfehlen, die ähnlich wie der berühmte Blaue Engel die vergaberechtlichen Vorgaben erfüllen?

 

Ja, die Siegel und Gütezeichen. Ein heikles Thema. Meines Wissens ist es teilweise gar nicht möglich konkret solche verbrieften Qualitätsabzeichen einzufordern. Ich kenne Fälle in denen bspw. das FSC- oder GOTS-Siegel nicht namentlich in einer Ausschreibung genannt werden durfte, aber die diesen Siegeln zugrunde liegenden Kriterien schon. In der Praxis können dann natürlich hauptsächlich zertifizierte Anbieter überzeugen. Wenn Sie mich fragen, vergaberechtlicher Unsinn – aber Realität. Auf der anderen Seite hilft diese Vorgehensweise auch Unternehmen, die zwar alle nachhaltigen Kriterien erfüllen, dies transparent kommunizieren, aber die Kosten und den Aufwand einer Zertifizierung scheuen. Ein schwieriges Thema für beide Seiten. Deswegen finde ich die zuvor genannten Berichte und Bilanzen so spannend. Sie zeigen transparent, was hinter einem Anbieter steckt und stützen sich nicht nur auf Siegel, können diese aber sinnvoll in ihre Dokumentation einbeziehen.


Eine gute Anlaufstelle für Gütezeichen ist auch die Seite www.siegelklarheit.de der Bundesregierung. Dort werden Siegel transparent bewertet und nach Produktkategorien gebündelt angezeigt. Das ist eine ganz gute Orientierung, ersetzt aber natürlich nicht eine eigene Recherche oder die Lektüre passender Leitfäden. Ein ganz anderes Feld ist der Dienstleistungssektor. Produkte lassen sich meist einfacher mit Gütezeichen versehen als vielseitige Services. Auch hier helfen wieder die genannten Berichtsstandards zur Orientierung – auch solche die noch nicht vom CSR-Richtlinie-Umsetzungsgesetz akzeptiert werden. Ein prominentes Beispiel dafür ist die B Corporation Certification (B-Corp), denn viele B-Corp-zertifizierte Unternehmen sind Serviceunternehmen und können so ihre nachhaltigen Absichten darstellen.


Ähnlich interessant sind die unzähligen Initiativen zur Selbstverpflichtung. Die Unterzeichnerinnen und Unterzeichner der Charta der Vielfalt etwa, verpflichten sich mit der Unterzeichnung selbst dem Diversity-Management. Als Pledgee von The Ethical Move verschreiben sich Unternehmen ethischer Kommunikation und verantwortungsvollem Marketing. Und „fairpflichtet“ ist der Nachhaltigkeitskodex der deutschen Veranstaltungsbranche. Auch solche Labels können beim Einkauf zu Rate gezogen werden.

Zum Abschluss noch eine persönliche Frage. Was ist Ihre Vision von einer nachhaltigen Beschaffung und wann wird diese Wirklichkeit sein?

 

Das ist eine wirklich herausfordernde Frage. Ich glaube der Schlüssel ist eine transparente Wertschöpfungskette. Sobald wir das Problem der Unsichtbarkeit in Bezug auf ausbeuterische und unethische Bedingungen in der Wirtschaft gelöst haben, wird sich auch das Handeln nachhaltig verändern. Bis dahin ist der Weg jedoch noch lang. Von allen Einkäuferinnen und Einkäufern dieser Welt alleine wird dieses Ziel nicht zu erreichen sein. Aber wenn der Druck steigt und die Vorbildfunktion von der öffentlichen Hand erfüllt wird, dann kann sich enormes politisches und ökonomisches Potential entwickeln. Wann, das bleibt jedoch abzuwarten. Ich hoffe jedoch spätestens 2030, wenn die SDGs auf ihre Zielerreichung hin geprüft werden und wir vielleicht ein angemessenes Lieferkettengesetz haben.

Herr Jelitschek, ich danke Ihnen für Ihre Zeit und wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg bei Ihrer Arbeit.

 

Vielen Dank, es hat Spaß gemacht über dieses spannende Thema zu berichten.

Wenn Sie Rückfragen zum Thema oder weiterführende Anregungen haben, wenden Sie sich an:


Timm Jelitschek
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